Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik
Besonders seit den Querdenker-Demonstrationen während der Corona-Zeit wird die Esoterik-Szene immer mehr von rechten Gruppierungen unterwandert und instrumentalisiert. In dem Standard-Werk Rechte Esoterik beschreibt Matthias Pöhlmann, wie die Esoterik immer weiter nach rechts abdriftet.
Als im Jahr 2020 die Querdenker-Demonstrationen begannen, rieben sich manche Beobachter verwundert die Augen. Neben den besorgten Bürgern, Eltern mit Kindern und Personen, die sich keiner Gruppe zuordnen ließen, gab es jede Menge Reichskriegsflaggen von Rechtsextremisten, Verschwörungsideologen (QAnon) und Esoterikern. Über die Hintergründe dieser anscheinend neuen Vernetzung von Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremisten und Esoterikern wurde viel gerätselt. Der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche Bayern, Matthias Pöhlmann, gibt in seinem Standardwerk Rechte Esoterik darüber Auskunft.
Esoterik und Rechtsextremismus
Die Esoteriker gelten gemeinhin als unpolitisch. Das war schon immer ein gefährlicher Irrglaube. In Wirklichkeit wollten die Esoteriker immer schon ein neues System, eine neue Weltordnung, eine umfassende Transformation der Gesellschaft. Die Offenheit der Esoterik für Rechtsextremismus ergibt sich aus folgenden gemeinsamen antidemokratischen Überzeugungen:
• Berufung auf ein elitäres, esoterisches Überwissen: Es soll wissenschaftlich-rationaler Erkenntnis überlegen sein und hat sich besonders Sensiblen, Sensitiven und Erleuchteten auf intuitivem Wege erschlossen.
• Totalitätsanspruch auf alle Lebensbereiche: Es basiert auf einem ganzheitlichen Weltverständnis, das von der All-Einheit aller Dinge ausgeht. Esoterik bietet ein umfassendes Sinn- und Deutungssystem, das auf zwei Grundannahmen beruht. 1. Alles hängt mit allem zusammen. 2. Es gibt keinen Zufall.
• Besonderes Sensorium für gesellschaftliche Krisenlagen: Auf soziale, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Krisenlagen reagiert Esoterik mit verschwörungsesoterischer und alternativ-spiritueller Literatur.
• Kritisch gegenüber Wissenschaft, Institutionen und Kirchenreligionen: Die moderne Esoterik ist institutionen-, technik- und fortschrittsskeptisch ausgerichtet. Dies führt zu Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen (z. B. Verfassungsschutz), Kirche, Wissenschaft (z. B. Klimahysterie) Sicherheitsbehörden und Mainstreammedien („Lügenpresse“).
• Offenheit gegenüber Verschwörungstheorien: Die esoterische Berufung auf ein höheres Wissen geht häufig mit der Vorstellung einher, wonach ein ursprüngliches Überwissen von einflussreichen Gruppen unterdrückt worden sei bzw. noch unterdrückt werde. Daraus leiten sich zahlreiche Verschwörungstheorien ab.
• Schwarz-Weiß Denken: Die Welt wird in Gut und Böse unterteilt. Das Böse kommt meistens von denen da Oben, vom System und elitären Mächten, die im Verborgenen operieren. Die Guten kommen von unten, sind das unterdrückte Volk oder sind die Außenseiter der Gesellschaft.
• Opfer-Täter Umkehr: Werden esoterische schwarze Schafe bei ihrem illegalen Treiben entdeckt und verurteilt, geben sie der Gesellschaft die Schuld und sprechen von „Hetzkampagne“ und „Gesinnungsdiktatur“. Das färbt sich auf populistische Diktatoren wie Putin („Die Nato ist schuld, dass wir die Ukraine angreifen“) und Trump („Die Wahlen wurden uns gestohlen“) ab.
Rechtsesoterische Superspreader
Ein besonderes Merkmal der aktuellen rechten Esoterik und der Rechtspopulisten ist die intensive personelle Vernetzungsarbeit mit Initiativen, die in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft hineinwirken wollen. Intellektuelle Wegbereiter sind Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung (Sprecher Martin Sellner), das Magazin compact von Jürgen Elsässer oder das Institut für Staatspolitik von Götz Kubischek, die den Boden für die Machtübernahme bereiten sollen. Dabei setzen sie vor allem auf die Verschiebung des Sagbaren durch Sprache. Begriffe wie Ethnopluralismus oder Remigration klingen harmlos, sind aber zutiefst menschenverachtend und völkisch-national geprägt und meinen die millionenfache Vertreibung von unliebsamen Menschen mit Migrationshintergrund.
In dieser von Verschwörungserzählungen und esoterischen Weltbildern geprägten Mischszene fungieren Chiffren und Labels wie Big Pharma‚ NWO (New World Order), Great Reset, Globalisten, jüdische Hochfinanz, QAnon, aber auch Themen wie Impfgegnerschaft und die Ablehnung der Schulmedizin als einende Narrative und Muster, die eine Grundlage nicht nur für inhaltliche Überschneidungen, sondern auch für gemeinsames Handeln bieten. Diese gemeinsamen Erzählungen und Überzeugungen dienen als Brücken zwischen den Szenen und ermöglichen eine niederschwellige Übernahme von Ideologieelementen. Diese engen Verbindungen zwischen antimodernistischen, antidemokratischen, verschwörungsideologischen und rechtsesoterischen Ideologien sind nicht neu. Spätestens seit den 1990er und verstärkt seit den 2010er Jahren, also bereits deutlich vor der Corona-Pandemie, waren sie zu beobachten.
Alternative Medien und Verlage
Zahlreiche rechte Esoteriker betreiben alternative Medien im Internet oder als Printversionen. Sie sind in ihrer Anzahl und der Zahl ihrer Anhänger erschreckend hoch und stellen ein hohes Gefährdungspotential durch Demokratieverachtung und Desinformation dar.
• Ivo Sasek ist der Kopf von Kla.TV und der Anführer der OCG, der Organischen Christus Generation, einer freikirchlichen, zunehmend esoterischen Sekte mit Sitz in der Schweiz. Sasek lässt seine Anhänger Mantren singen, predigt die Reinkarnation – und spielt mit Symbolen einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. 2.000 getreue Gläubige hat Sasek nach Einschätzung der schweizerischen Evangelischen Sekteninformationsstelle in der OCG um sich geschart und noch mehr Fans.
• Der 2010 gegründete Videokanal des rechten Esoterikers Jo Conrad bietet seit 2010 unter dem Namen bewusst.tv eine Mischung aus Verschwörungsideologien, rechter Esoterik, reichsbürgerideologischen Gedanken und QAnon. Der Kanal hat 23.500 Nutzer.
• NuoViso.TV hat 224.00 Abonnenten und ist eine von Frank Höfer, Steffen Höfer und Michael Swoboda betriebene Filmproduktionsfirma. Das Spektrum reicht von Esoterik über Impfkritik bis hin zu Putin-Bewunderung und Reichsbürger-Propaganda.
Esoterik und Reichsbürgerszene
Wie fließend die Übergänge zwischen Esoterik- und Reichsbürgerszene sind, zeigt sich am Beispiel von Peter Fitzek, dem selbsternannten König des „Königreich Deutschland“. Seiner „Verfassung“ sollen der Internetpräsenz zufolge esoterisch universelle Gesetze, die hermetischen Prinzipien, als Schöpfungsordnung zugrunde liegen. Der 2009 gegründete Verein NeuDeutschland hat das Ziel, Deutschland in den Grenzen von 1937 neu zu errichten. Fitzek hält die Bundesrepublik für eine Gewaltherrschaft und vermutet hinter ihrer Fassade eine satanistische Agenda. Die Aktivitäten Fitzeks werden von den Verfassungsschutzbehörden in Sachsen-Anhalt und Brandenburg beobachtet und als verfassungsfeindlich eingestuft. Zudem wird der antisemitische Grundgehalt der von Fitzek propagierten gesundheitlichen Auffassungen hervorgehoben.
2020 gab es in Deutschland 20.000 Reichsbürger, wovon 1000 als rechtsextremistisch und 2000 als gewaltbereit eingestuft wurden. Im Dezember 2022 ist ein mutmaßliches Reichsbürger-Netzwerk bei einer bundesweiten Razzia aufgedeckt worden. Seine Mitglieder sollen geplant haben, das demokratische System mit Gewalt zu stürzen. Einer der Beschuldigten hatte laut Bundesgerichtshof nach dem Stand der Ermittlungen in Berlin schon die Örtlichkeiten ausgekundschaftet, Fotos gemacht und eine Namensliste von Politikern, Journalisten und anderen Personen des öffentlichen Lebens erstellt. Bei der Razzia waren 25 Männer und Frauen festgenommen worden. Die Bundesanwaltschaft führte in dem Komplex zwischenzeitlich 61 Personen als Beschuldigte. Das Netzwerk um den Frankfurter Geschäftsmann Heinrich XIII. Prinz Reuß soll einen Staatsstreich geplant haben, um das politische System der Bundesrepublik zu beseitigen und einen neuen Staat nach dem Vorbild des Kaiserreichs von 1871 zu errichten.
Rechtsesoterische Verlage
Inhaltliche Verflechtungen werden auch bei den publizistischen Umschlagplätzen rechtsesoterischer Weltanschauungsproduktion erkennbar. In Bayern gibt es mehrere Kleinstverlage, die einschlägige Literatur vertreiben. Hierzu zählte bis vor kurzem der von der früheren Reichsbürgerin Ingrid Schlotterbeck geleitete, in Marktoberdorf ansässige Argo-Verlag. Rechtsesoterische und konspirituelle Literatur vertreibt u. a. auch der Michaels-Verlag sowie der in Baden-Württemberg ansässige Kopp-Verlag. Zu den eifrigsten rechtsesoterisch-verschwörungsideologischen Weltanschauungsproduzenten zählt der Amadeus Verlag des antisemitisch-verschwörungsideologischen Bestsellerautors Jan Udo Holey alias Jan van Helsing.
Die Anastasia-Bewegung
Neben rechtsesoterischen Einzelpersonen geben sich mit der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung und ihren Akteuren problematische antidemokratische, rassistische und antisemitische Grundüberzeugungen zu erkennen. Anhänger der gleichnamigen, ursprünglich aus Russland stammenden Buchreihe engagieren sich mit der Gründung von sogenannten Familienlandsitzen, wovon es in Deutschland bereits knapp zwanzig gibt.
Rechte Esoterik wird zunehmend antidemokratisch
Die Entwicklung hin zu einer zunehmend politisierten rechten Esoterik zeigt in besorgniserregender Weise, wie weit und nahezu unbemerkt rechte Esoterik bereits in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist. Spirituell Suchende werden mit esoterischen Themen angelockt und zunehmend von rechtsideologischen Superspreadern und Influencern mit antidemokratischen, antisemitischen und verschwörungsideologischen Inhalten politisiert. Die Sehnsucht der spirituell Suchenden nach Frieden, Pilgern, Naturnähe, Selbstversorgung und neuen Formen der Gemeinschaft und des Heilens wird von rechten Gruppierungen durch rechte politische Propaganda missbraucht.
Film auf Phönix dazu (29 Minuten): https://www.ardmediathek.de/video/phoenix-plus/der-verschwoerer-komplex/phoenix/Y3JpZDovL3Bob2VuaXguZGUvMzExOTc4OQ
Was passiert, wenn die AFD regiert? (14 Minuten) www.youtube.com/c/recap-nachrichten
Autor: Matthias Pöhlmann, Dr. theol., geb. 1963 in Hof/Saale, von 1999 bis 2011 wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin, anschließend Gemeindepfarrer in Germering bei München; seit 2014 Kirchenrat und Landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Religions- und Weltanschauungsfragen.
Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik - Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen, Verlag Herder, 1. Auflage 2021, 304 Seiten, 22 €